In letzter Zeit vergeht kaum ein Tag, der keine Neuigkeiten von der angeblich wachsenden Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen in Deutschland brächte.
Jetzt las ich einen Artikel in der FAZ, der die Studie eines italienischen Soziologens referiert, nach der die Armen kaum nach Ausgleich ihrer Situation streben. Warum?
Leider hat der Herr Carriero in seiner Studie auch keine schlüssige Antwort dieses paradoxen Verhaltens parat, vermutet aber eine Art von Fügung ins Unvermeidliche auf Seiten der ärmeren Bevölkerungsschichten.
Was Eva Illouz sagt
Wie ich gerade wieder mit Vergnügen Eva Illouz („Konsum der Romantik“) lese, ließen sich hier vielleicht Parallelen zur ökonomischen Interessenslage der jeweiligen Klassen hinsichtlich ihrer Erwartung an die Liebe ziehen.
Eva Illouz glaubt, dass die unteren Bevölkerungsschichten wesentlich stärker am Ideal der interessenlosen Liebe festhalten, als etwa die obere Mittelschicht, die ihre konkreten ökonomischen Erwartungen an die Partner in spe gerne hinter Forderungen nach bestimmten Eigenschaften kultureller Kompetenz versteckt. Wer sich einen Partner wünscht, der gerne Ausstellungen oder Konzerte besucht, unterstellt bewußt oder unbewußt, dass der Erwerb solcher Neigungen in der Regel monetäres Kapital beansprucht. Und die damit verbundene Absicht ist klar. Während die weitgehend Besitzlosen nicht mehr als ihre Gefühle miteinander tauschen können und daher einen besonderen Wert auf sie legen, geht es bei den Besitzenden hinsichtlich der Liebe auch immer um die Frage, wer schließlich die Wohnung oder das Aktienpaket erbt.
Und die Künstler?
Nicht nur aus der Interessenslage dieses Blogs sei noch ein Blick auf die besondere Situation der Künstler und Kulturschaffenden geworfen.
Während die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland nach dem Gini-Index im weltweiten Durchschnitt eher moderat ist, ist sie – mit Vorbehalt – eingegrenzt auf die Künstler wahrscheinlich als extrem zu bezeichnen.
Zwar liegen mir keine exakten Zahlen über die Einkommensverteilung der Künstler vor, doch ist schon aus dem von der Künstlersozialkasse belegten Durchschnittseinkommen von 16.000€/pa für alle Künstler und den regelmässigen Verkaufsrekorden für zeitgenössische Werke durch einzelne Künstler der Verdacht naheliegend, dass der Gini-Index für die Künstler allein noch wesentlich größer ausfallen könnte, als für den Rest der Bevölkerung. Der Ökonom Hans Abbing unterstützt diese These, legt aber leider auch keine Zahlen vor.
Künstler mucken nicht auf
Im Hinblick auf die Studie des italienischen Soziologen lässt sich nun folgern, dass die Neigung der Künstler, diese besondere Ungleichkeit im Kunstbetrieb zu thematisieren, sehr gering ist.
Hinweise darauf ergeben sich sowohl aus der Abneigung der meisten Künstler, sich in Berufsverbänden zu organisieren, wie aus dem Unstand, dass es praktisch gar keine Künstler gibt, die bei der ansonsten auffallenden Exposition sogenannter ‚politischer Kunst‘ und ihrer Themen (siehe dazu auch Pascal Unbehaun Artspeak) den Kunstbetrieb und seine ökonomischen Bedingungen zum Gegenstand ihrer Arbeit machen. Eine von mir geführte Zusammenstellung führt für Deutschland gerade mal 7(!) KünstlerInnen auf. Selbst, wenn es 100 wären, wäre das im Vergleich zu den 60.000 Künstlern, die allein die KSK kennt, ungeheuer wenig.
Die Gründe für dieses Verhalten lassen sich vielleicht zur Überprüfung anhand von drei Themensträngen untersuchen:
- Künstler sind von ihrer politischen Neigung eher ‚links‘ und ‚anti-kapitalistisch‘ eingestellt, sowie in einem weiteren Sinne tendenziell ‚dagegen‘ (was noch gesondert zu belegen wäre). Ausgehend davon ist ihre Abstinenz, ihre eigenen ökonomischen Umstände zu thematisieren, verwunderlich.
- Künstler trennen zwischen Status und Einkommen. Sie pflegen eine Einstellung, die ich einen „kollegialen Egalitarismus“ nennen möchte. Die wenigsten Maler dürften aus dem gewaltigen Unterschied zwischen dem Einkommen von Gerhard Richter und ihrem eigenen Einkommen ein persönliches Defizit herleiten. Eher neigen sie dazu, die Gemeinsamkeiten herauszustellen und den Einkommensunterschied als unbedeutende Differenz kleinzureden. (Der oftmals ätzende Neid unter Künstlerkollegen scheint dagegen an Stärke zuzunehmen, je geringer die tatsächlichen Unterschiede ausfallen.) Mit dieser Einstellung stehen Künstler in starkem Kontrast zur sonstigen bürgerlichen Ökonomie, die Einkommen an Leistung koppelt.
- Schließlich ist das Scheitern und Versagen im Kunstbetrieb, wie ich an anderer Stelle herausgestellt habe, deutlicher und umfassender verschleiert als in der übrigen Wirtschaftswelt. Künstler können ihr ganzes Leben, selbst nach ihren eigenen Maßstäben, erfolglos bleiben, ohne sich deswegen als Verlierer zu fühlen. (Gerade diese Fähigkeit kitzelt die Vertreter der sogenannten Kreativökonomie danach, sie allen Menschen aufzudrücken.)
Die beiden letzten Thesen unterstützen die Annahme einer besonderen Wahrnehmungsverzerrung unter Künstlern, die ähnlich den Resultaten des Soziologen Renzo Carriero, verhindert, die persönliche ökonomische Situation in den Kontext der Gesamtökonomie zu stellen. Sie könnten Gegenstand vertiefter Forschung werden.
Zu Punkt 1 („Abstinenz, ihre eigenen ökonomischen Umstände zu thematisieren“) fiel mir ein, dass dies ja transzendentalphilosophisch begründet sein könnte. Der Künstler kann sich über jeglichen Gegenstand stellen, nur die reine Form – nämlich die ‚künstlerische Methode‘ an sich – ist eine Bedingung der Möglichkeit des Künstler-seins überhaupt und kann nicht in Frage gestellt werden.
Lieber Pascal,
das wäre dann so eine Art blinder Fleck? Dann müsste immerhin noch erklärt werden, warum nur Künstler davon betroffen sind. Oder denkst Du, das gilt für jedes Gebiet?