Kunst als Investition – Karteikarte #1

Karteikarte Kunst als Investition - Stichworte

Karteikarte Kunst als Investition

Einige verstreute Notizen zum Themenkomplex Kunst als Investition, ihre Ökonomie und ihr Risiko.

— gemeint ist hier der ökonomische Aspekt der Entscheidung, sein Leben als (professioneller) Künstler zu führen.

— es gilt, dass 99% aller Künstler im Laufe ihres Lebens nicht von ihrer Kunst leben können.

— gleichwohl fordert die Erzählung der Kunst, dass es das Ideal sein sollte, dass ein Künstler von seiner Kunst leben sollte.

— dass es einigen wenigen Künstler tatsächlich gelingt, von ihrer Kunst zu leben, wird als Beweis angesehen, dass es möglich ist. Somit sind nicht alle Künstler gleich. (Nebenbei wird als gegeben angesehen, dass es weitgehend die eigene Leistung war, die Künstler dazu gebracht hat, von ihrer Kunst zu leben. Es war kein Zufall, keine Lotterie. Obwohl der Begriff ‚Lotterie‘ manchmal metaphorisch für die Chance, von seiner Kunst leben zu können, gebraucht wird.)

— die allermeisten Künstler sind arm. Wenn man Zahlen der KSK heranzieht (die mit Vorsicht zu betrachten sind), verdienen sie gerade einmal weniger als 50% des nationalen Durchschnittslohns.

— gleichzeitig gibt es einige Künstler (Hans Abbing weist darauf hin), die im Vergleich zu ihrer Ausbildung extrem viel Geld verdienen. Sogar Milliardäre sind möglich.

— insgesamt herrscht in den Künsten eine extreme Spreizung der Einkünfte. Verglichen mit dem Gini-Index sind das Zustände, die nur in einigen Entwicklungsländern vorkommen.

— was ist den Künsten nahezu vollständig fehlt, ist eine solide Mittelschicht, wie sie in den entwickelten Volkswirtschaften die Basis ihres Wohlstands bildet. (Die Künste sind darin das genaue Gegenteil. Alles konzentriert sich an den Rändern.)

— diejenigen Künstler, die nicht von ihrer Kunst leben können, müssen von anderen Quellen (Transferleistungen) leben, bis sie es geschafft haben. Manchmal ein ganzes Leben lang. Wenn sie erfolglos blieben.

— diese Querfinanzierung der künstlerischen Tätigkeit wird nicht als das Ideal angesehen. Bestenfalls als Kompromiss.

— auf kunstfremde Transferleistungen angewiesen zu sein, bedeutet gemeinhin eine Beschämung. Deshalb reagieren Künstler in der Regel erbost auf die Frage: „Und, können sie davon leben?“

— die kunstfremden Transferleistungen werden in der Regel nicht und oder nur verklausuliert erwähnt. Oder auch beschwichtigend. Besonders in Lebensläufen. Es muss immer der Eindruck bleiben, der Lebensmittelpunkt und die volle Aufmerksamkeit eines Künstlers gelte seiner Kunst. (Ein Bekannter ärgerte sich sehr, als er in einem Katalog zu seiner Person die Beschreibung „arbeitet Vollzeit als Altenpfleger“ vorfand.)

— nach den kunstfremden Transferleistungen, die gewissermassen den ‚Input‘ bilden, folgt mit Regelmässigkeit der ‚Output‘ in Form von sehr günstigen oder letztlich komplett kostenlosen Angeboten und Leistungen des Künstler. Die Liste ist lang und kann hier nur punktuell wiedergegeben werden. Künstler bauen ihre eigenen Ausstellungen auf, stellen in Kunstvereinen oder kommerziellen Galerien aus, ohne zu verkaufen oder nur ein Honorar zu erhalten. Gestalten und produzieren Kataloge, die sie nicht loswerden. Laden Videos auf Youtube oder Musik auf Soundcloud oder befüllen Blogs und andere Social Media Kanäle (in letzter Zeit gerne Instagram).

— seine Ware kostenlos abzugeben, ist zwar auch in Realwirtschaft zu finden, ist aber entweder kalkuliert zeitlich eingeschränkt (als Werbung und Lockmittel) oder schlicht ein Akt der Verzweiflung.

— wie immer man die Transferleistungen beschreiben will (als Nebenjob, als Förderung oder Stipendium, als Nutzung eines Erbes, als Unterstützung durch Freunde oder Verwandte), ihr voranginges Ziel besteht darin, den Künstler im Markt zu halten. Gäbe es sie nicht, müsste der Künstler ausscheiden oder seine Tätigkeit reduzieren. Da die Menge des daraus resultierenden Angebots die Unterscheidungsfähigkeit schmälert, verläuft eine Differenzierung nahezu ausschließlich über den Preis, der nur eine Richtung kennt, nach unten. Die Versuchung ist daher groß, aufgrund der bedrückenden Lage nach Hilfe zu rufen, die dann meistens der Staat gewährt. Da durch die Staatshilfe weiterhin Künstler im Markt gehalten werden, die zum Überangebot beitragen, tritt keine Besserung ein. Ganz im Gegenteil.

— strukturell ist die künstlerische Arbeit weiblicher Care-Arbeit aus älteren Frauenrollen verwandt. Ein geduldiges, andauerndes, selbstloses Kümmern, das aus externen Quellen gestützt, aber unabdingbar für die Aufrechtherhaltung des Status Quo ist.

Anika Meier, Anti-Kultur

Anika Meier, Anti-Kultur

— für wenig oder gar kein Geld zu arbeiten, ist in den Künsten so weit verbreitet und als gegeben angesehen, dass die Kunstkritikerin Anika Meier feststellen konnte: Wer sich nicht gratis aufopfert, ist Anti-Kultur. [Q] (Der Begriff des Opfers wird hier, wie sonst auch in den Künsten, positiv konnotiert.)

— der direkte Effekt der Transferleistungen, die man auch als Subventionen bezeichnen könnte, liegt darin, dass mit der ausschließlichen Investition in Angebote, die Preise beständig sinken und gegen Null gehen, weil außer Preissenkung keinerlei Möglichkeit besteht, sein Angebot hervorzuheben. Die große Masse der Kunst ist daher ungeheuer billig, weil eigentlich unverkäuflich.

— zusammen mit den Transferleistungen bilden die kostenlosen Leistungen in der Summe ein Verlustgeschäft, ohne, dass es sich direkt abzeichnete. Am Ende eines Künstlerlebens steht monetär gesehen ein gewaltiges Minus.

Die Investition

Ich habe diese Ausstellung mitfinanziert. T-Shirt von M.O.A.

Ich habe diese Ausstellung mitfinanziert. T-Shirt von M.O.A.

— sofern kunstfremde Transferleistungen vorhanden sind, mögen sie als Investition ähnlich in anderen Bereichen des Wirtschaftslebens betrachtet werden. Theoretisch könnte der Künstler auch einen Bankkredit aufnehmen, um die Zeit X bis zum Erreichen des ‚Ziels‘, von seiner Kunst leben zu können, zu überbrücken. In der Praxis kommt das eher nicht vor, da Banken kein Vertrauen in diese Art von Investition haben. Sie glauben einfach nicht, dass sie irgendwann 2000€ bekommen, wenn sie einem Künstler einmal 1000€ gegeben haben. Da diese Art der wirtschaftlichen Überlegung so allgegenwärtig ist, dass sie die gesamte Gesellschaft und Ökonomie durchzieht, werden Transferleistungen des Staates an die Kunst überwiegend in Formen abgewickelt, die dem übrigen Wirtschaftsleben fern stehen. Also Preise, Stipendien, Zuwendungen und Gratifikationen aller Art. Auch, wenn es sich um Subventionen handelt, werden sie überheblich ‚Förderungen‘ genannt. (Hans Abbing nennt das Gift Economy) Sie erzielen durch diese Wirtschaftsferne gleich nebenbei ein besonderes Prestige. Also, bezahlt zu werden, ist niedrig und gemein, beschenkt zu werden, dagegen edel und erhaben.

— zusammen mit der äußerst geringen Chance, je von seiner Kunst leben zu können, müsssen die Transferleistungen die Kunst als eine Investition mit einem außerordentlichen Risiko betrachtet werden. Dieses Risiko ist sehr wahrscheinlich viel viel größer als das Risiko, das in anderen Bereichen der Wirtschaft vorkommt. Denn auch dort gibt es hochriskante Investitionen.

— nur um ein Bild zu bemühen, sollte man sich vorstellen, man bezahlte jetzt für Sitzplätze einer Theateraufführung, die möglicherweise nie stattfinden wird. Und in der Wirtschaft gibt es Geschäfte, bei denen für das Recht bezahlt wird, zu einem bestimmten Zeitpunkt, Aktien zu einem festgelegten Preis an- oder verkaufen zu dürfen. Das mag seinen Sinn haben, geht aber oftmals schief.

Extreme Konkurrenz

— es sei hier die These aufgestellt, dass das risikoreiche Verhalten der Künstler auf extremer Konkurrenz beruht, die es unmöglich macht, von seiner Kunst im nächstliegenden Zeitabschnitt (heute, in ein paar Monaten, im nächsten Jahr) zu leben, so daß die Erwartung auf ihre Erfüllung in eine immer ferner liegende Zukunft verschoben wird. So weit, dass das Eintreten der Erwartung eigentlich gar nicht mehr benannt werden kann und jeglicher wirtschaftlicher Rationalität entbehrt.

— die von Hans Abbing immer wieder beklagte Komplexheit und Alltagsferne moderner Kunst ist Teil des besonderen Investitionsverhaltens der Künstler unter dem Eindruck extremer Konkurrenz. Künstler-sein bedeutet, sich von anderen Künstlern zu unterscheiden. Je mehr Künstler, aber auch, je mehr Interpreten und Exegeten es gibt, desto schwerer wird es, aus der Masse hervorzustechen.

— das es auf Seiten der Preise nahezu keinen Spielraum mehr gibt (Kunst ist schon sehr sehr billig), bleibt nur noch die Ausflucht in die Zeit.

— die extreme Konkurrenz ist gegenwärtig und andauernd. Sie zu überwinden, scheint nur durch Annahme eines äußerst weiten Zeithorizontes mitsamt bestimmter Erwartungen verbunden, möglich zu sein. Die Erwartung, mit der Zeit ein Netzwerk zu schaffen, in dem die eigene Leistung endlich erkannt werden wird, was miteinschließt, endlich die richtige Person (oder Institution) kennen zu lernen, die die Anerkennung verschafft (ein im 19. Jahrhundert verbreiteter Topos). Es kann auch bedeuten, dass sich mit der Zeit ‚die Reihen lichten‘, sei es, dass einfach Mitkonkurrenten ausscheiden, sei es, dass blockierende Meinungen und Auffassungen an Dominanz schwinden (ebenfalls, weil es niemanden mehr gibt, der sie vertritt). Der Fall mag dann eintreten, dass der Künstler ‚es immer schon gewusst‘ hat, weil er/sie beharrlich ’seinen Weg verfolgt‘ hat. So sagt man dann.

— der Zeithorizont kann sogar im äußersten Fall projektiv über den Tod des Künstlers hinaus verlängert werden. Entsprechende Beispiele sind ja vorhanden. Runge etwa, Kafka, van Gogh. Letztere starben allerdings in relativ jungen Jahren. Heutzutage haben Künstler eine vergleichsweise höhere Lebenserwartung, was sie aber nicht vor den Umständen schützt, dass sie mit 60 oder 70 Jahren immer noch nicht am ‚Ziel‘ sind. Auch für sie kann es bedeuten, dass sie hoffen müssen, erst nach ihrem Tod Anerkennung finden zu können.

— in den letzten 40 Jahren haben Deregulierung und verbesserte ökonomische Theorien (und wahrscheinlich der Einsatz von Computern) auch in der Realwirtschaft zu spekulativem Verhalten geführt, das vorher nicht denkbar erschien. Eine Firma wie Amazon, die Jahre und Jahrzehnte ohne Gewinne Geld verbrennt, erscheint nicht mehr gänzlich unnormal.

— tatsächlich scheinen sich die Künste und einige Aspekte des Wirtschaftens in ihrer spekulativen Ausformung anzunähern. Man sollte aber daraus nicht den Schluss ziehen, es wäre deshalb in Ordnung, was in den Künsten geschieht. Das Problem ist nicht, dass Künstler einer besonders spekulativen Praxis nachhängen, wie sich sich auch bei Unternehmen der New Economy findet, sondern, dass sie es in Massen tun. Und dabei offensichtlich keine Wahl haben. Umgekehrt ist eben nicht jedes Unternehmen Amazon und kann sich dessen Geschäftspraxis leisten. Es gibt auch Unternehmen, die mit einem risikoärmeren Geschäftsmodell als dem von Amazon Geld verdienen. Künstler eher nicht

Kunst macht keinen Spaß

— zuletzt könnte man, etwas leger fragen: wen juckt es, dass die Künstler solcher Spekulation nachgehen und dabei arm bleiben, wenn dabei schöne Dinge entstehen, die Menschen eine Freude bereiten?

— die Schwierigkeit dieses Argumentation liegt darin begründet, dass niemand die oben unterstellte Kunstwirksamkeit verlässlich bestimmen oder reproduzieren kann. Es soll Menschen geben, die auch die Mona Lisa, die Eroica oder Citizen Kane doof finden. Ebenso bleiben tausende von Kunstwerken in den Ateliers der Künstler verborgen, bis sie auf dem Müll landen. Allen Atelierrundgängen der letzten Jahre zum Trotz. Auch das Internet, als vermeintlich offenstes und demokratisches Medium ist nicht in der Lage, die Kunstfreude in die Breite zu tragen. Man sehe sich nur die Abrufe oder Likes auf Youtube oder Instagram an. Im Gegenteil, die Aufmerksamkeitsökonomie des Internets führt nur dazu, dass eine gewaltige Zahl, die Mehrheit, an Künstlern absolut gar keine Aufmerksamkeit und ganz wenige sehr sehr viel Aufmerksamkeit erhalten. So, wie vor dem Internet auch und vielleicht ist die Spreizung zwischen hoher und geringer Aufmerksamkeit (ähnlich dem Gini-Index) im Internet noch viel extremer, weil die Zugangsbeschränkungen weiter zurückgegangen sind. Du musst heute noch nicht einmal mehr eine Kunsthochschule besucht haben, ein Konto bei Instagram reicht.

— wenn diese Zustandsbeschreibung korrekt ist, dann bedeutet die Ungleichverteilung der Aufmerksamkeit bei weiter anhaltender Armut der Künstler ihre fortlaufende und komplette Deklassierung. Angesichts dieses Elends ist es zynisch, für eine mehr als zufällige Kunstwirksamkeit, Menschen in großer Zahl ein Verhalten in romantischer Verklärung vorzuschreiben, für das man in der Realwirtschaft nur Verachtung übrig hat (aber irgendjemand bestellt doch das Buch bei Amazon).

— Kunst machen, ist Uber am eigenen Leben.


Die Botschaft ist die:

Niemand sollte es als ehrenvoll ansehen, über einen längeren Zeitraum nicht von seiner Kunst leben zu können.

Wer länger als 10 Jahre auf externe Quellen und Zuwendungen angewiesen ist, sollte mit Anstand aus der Kunst ausscheiden dürfen.

Wer darüber hinaus nicht von seiner Kunst leben kann, finanziert nicht sich, sondern ein ungerechtes und despotisches System.


Über den Autor

Stefan B. Adorno, Medienkünstler. The Thing Frankfurt 1995 - 2013. Kunstraum multi.trudi 1997 - 2010. Blog ThingLabs seit 2013. Themen: Ende der Ausstellungskunst. Offene Handlungsfelder. Abschied vom Publikum. Konversationskunst. Alle wichtigen Texte finden sich in der Rubrik Essays.

Autor des Beitrags
  

2 Gedanken zu „Kunst als Investition – Karteikarte #1

  1. Matthias Mala

    Die meisten Menschen sind nicht bereit, für Kunst recht viel mehr zu bezahlen, als für Netflix. Man sieht es an der Gebrauchskunst der Möbelhäuser. Daneben gibt es einen Kunstmarkt, der eigenen Gesetzen folgt. Am Kunstmarkt heute wären ein Rembrandt oder Lenbach auch nur arme Schlucker. Andererseits gibt es etliche Künstler, die sich einen eigenen Markt schaffen konnten und hierüber Absatz und Lebensunterhalt finden. Sie tauchen in keinen Museen auf, finden aber Leute, die bereit sind, den Preis zu entrichten. Kleine Galerien leben davon. Als Beispiel nur die Kunstbehandlung in München. Sie hat einen überschaubaren Kreis von Kunden und Künstlern. Galerist und Künstler finden so ihr Auskommen..

    Antworten
    1. Stefan B. Adorno Beitragsautor

      Lieber Matthias,
      vielen Dank für Deinen Beitrag. Ich finde es erfreulich, wenn die Galerie Kunstbehandlung ihren Künstlern ein Einkommen verschaffen kann. Aus meiner Erfahrung ist das kaum die Regel.
      Beste Grüße
      Stefan

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert