Schweden Urlaub 1999

Meine kleine Hütte am See Sjöatorp

Meine kleine Hütte am See Sjöatorp

Heute vor 20 Jahren, am 31.7. 1999, brach ich zu meiner dritten Reise nach Schweden auf. Ungeplant erwies sich der Aufenthalt in der Nähe von Alvesta als ein kleiner Wendepunkt in meinem Leben.

Damals war ich noch Assistent am Fachbereich Medienkunst der HGB Leipzig, meine erste und einzige Festanstellung und Beschäftigung, die mir im Sommer 1999, nach knapp 15 Monaten im Amt, schweren Kummer bereitete. Knapp gefasst, erwies sich meine Tätigkeit, der eigentlich das Adjektiv ‚künstlerisch‘ (Künstlerischer Assistent) vorangestellt war, als bürokratischer als gedacht. Die Lehre und der Umgang mit den Studenten nur der kleinere Teil des täglichen Aufwands. Ständig ergaben sich Angelegenheiten, die mit der Verwaltung der Hochschule oder mit dem Fachbereich, seinen Abläufen und Gremien abzustimmen waren und sich in Papieren und Protokollen niederschlugen. Diese beständige Reibung kollidierte mit meiner Zeiteinteilung an der Hochschule, der ich auch eigene künstlerische Arbeit in Frankfurt abzuringen hatte. Zu dieser Zeit betrieb ich noch meinen Kunstraum multi.trudi im Frankfurter Osthafen.

Die Reise nach Schweden trat ich also Ende Juli arg belastet an, so dass ich es mich kaum wunderte, als ich in Hamburg, auf Zwischenstop mein erstes Opfer bringen musste. Ein Zahn starb mir ab und musste akut behandelt werden. Noch unter dem Eindruck dieser unvorhergesehenen Operation nahm ich am nächsten frühen Morgen den Zug nach Kopenhagen, wo ich mich hinter Helsingborg bei glühender Hitze im Abteil mit einer Familie wiederfand, derer Sohn ein T-Shirt mit der Aufschrift trug: QUIT YOUR JOB! – Mein Menetekel.

Hüttenzeit

Vor meiner Hütte auf der Terrasse

Vor meiner Hütte auf der Terrasse

Eingenommen von der strapaziösen Anreise erreichte ich schließlich mein Ziel, diese überraschend schnuckelige Hütte am See Sjöatorp, die ich ganz für mich alleine hatte. Hier hätte ich zur Ruhe kommen können, wenn nicht der tote Zahn, den ich wie einen ungebetenen Gast mitgeführt hatte, mich beständig an die zurückliegende Pein erinnert hätte, so dass ich mich noch sehr gut einige Tage später zum Geburtstag meiner Mutter an einem öffentlichen Telefon am Bahnhof von Alvesta stehen sehe und zu ihr, ausgehend von dem Zahn, meine gesamte Situation zusammenfassend, sprach: ES (die Hochschule) GEHT MIR AUF DIE NERVEN!

Dabei blieb es dann auch und als ich nach dem Urlaub nach Leipzig zurückkehrte, kündigte ich nach einer weiteren Provokation durch die Verwaltung umstandslos zum 1.10.

Hüttengedanken

Abseits der allgemeinen Maladitäten hatte ich eine wunderbare Zeit dort, an die ich noch folgende Eindrücke erinnere:

— die blühenden Wiesen entlang derer ich mit dem Rad zum Einkaufen nach Alvesta fuhr, unterwegs die Bauernhöfe zählend, die ich passierte (sieben oder acht, glaube ich). Alvesta nur noch schemenhaft, ein paar Häuser um den Bahnhof.

— der See direkt vor meiner Hütte, der verführerisch zum Baden einlud, mich aber durch sein brackiges Wasser und den morastigen Untergrund enttäuschte. (Vielleicht bin ich deswegen nicht mehr dorthin gefahren.) Die Nachbarn legten nächtens im See Fallen aus, in denen sie Krebse fingen, in erstaunlichen Mengen. Einmal brachten sie mir welche in einer Schüssel vorbei. Schon gekocht. Da ich nicht wusste, wie ich ihre Panzer öffnen sollte, hatte ich bestimmt die leckersten Teile vergeudet. Das tut mir noch heute leid.

Regensturm auf dem See Sjöatorp während der Sonnenfinisternis vom 11. August 1999

Regensturm während der Sonnenfinisternis vom 11. August

— die letzte Sonnenfinsternis des 20. Jahrhunderts. Am 11. August, in Schweden eigentlich gar nicht zu beobachten, trotzdem auch dort in den Medien („NEIN, man kann sie hier nicht sehen….“) präsent. Und es regnete an diesem Mittwoch in Strömen den ganzen Tag.

— Hüttenlektüre. Die Strudelhofstiege von Heimito von Doderer. Und mehr nicht? Vielleicht doch einen Irvine Welsh oder Nick Hornby. Ersterer mein unangefochtener Liebling, nachdem ich 2 Jahre zuvor auf meiner ersten Hütte im Sommer 1997 Trainspotting gelesen hatte.

— Hüttenradio. Der Lokalsender dudelte den ganzen Tag Mambo No.5. Bei Einbruch der Dunkelheit lauschte ich hingegen auf meinem kleinen Taschenradio Kurzwellensendern aus aller Welt. Neben Number Stations mit ihren monotonen Zahlenfolgen, einer seltsamen Tourismuswerbung auf Deutsch aus Zentralchina, empfing ich eine amerikanische Stimme, die minutenlang einen einzelnen Satz wiederholte: JESUS IS COMING, I REPEAT: JESUS IS COMING, I REPEAT: JESUS IS COMING, I REPEAT: JESUS IS COMING, I REPEAT: JESUS IS COMING, I REPEAT: JESUS IS COMING… [Aber nicht bis nach Leipzig]

  

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