das Extremste und nichts geringeres als das

Extrem

Das Extrem

Ich habe neulich in meinem Aufsatz zur Kulturellen Reinigung auf Clement Greenberg als eine wichtige Quelle verwiesen. Jetzt möchte ich nach seiner Lektüre die entscheidenden Passagen zitieren.

Greenberg kommt im Laufe seines Lebens im Abstand von jeweils 20 Jahren auf den Begriff der ‚Reinheit‘ in der Kunst zu sprechen. Die erste Erwähnung findet sich 1940 in dem Aufsatz Zu einem neueren Laokoon (S.71):

Die Avantgarde-Kunst hat in den letzten fünfzig Jahren, dem Leitbild eines aus dem Beispiel der Musik abgeleiteten Begriffs der Reinheit bewußt oder unbewußt folgend, eine in der Geschichte unserer Kultur beispiellose Reinheit und radikale Begrenzung ihres Tätigkeitsbereichs erreicht. Die Künste befinden sich nun gesichert innerhalb ihrer jeweiligen „legitimen“ Grenzen, und der freie Handel zwischen ihnen hat der Autarkie Platz gemacht. […] Reinheit bedeutet in der Kunst die Akzeptanz, die bereitwillige Akzeptanz der Beschränkungen des Mediums der jeweiligen Kunst. […] Um zu beweisen, daß ihr Konzept der Reinheit mehr als nur eine geschmackliche Neigung ist, verweisen Maler auf orientalische Kunst, primitive Kunst und Kunst von Kindern als Beispiele der Universalität, Natürlichkeit und Objektivität ihres Ideals der Reinheit.

20 Jahre später, vielleicht auf der Höhe seines Einflusses schreibt er in Modernistische Malerei (S.267):

Die Künste konnten sich vor dieser Herabsetzung […zur Unterhaltung oder Therapie…] nur bewahren, indem sie nachwiesen, daß die Art von Erfahrung, welche sie ermöglichten, ihren eigenständigen Wert besaß und daß sie auf keine andere Weise erlangt werden konnte.

Es erwies sich, daß jede der Künste diesen Nachweis für sich allein führen mußte. Es mußte nicht nur gezeigt werden, was in der Kunst einzigartig und irreduzibel ist. Jede Kunst mußte in ihrer eigenen Arbeitsweise und ihren eigenen Werken die Effekte bestimmen, über die sie allein verfügt. Damit schränkte sie zwar ihren Gegenstandsbereich ein, doch zugleich wurde ihre Herrschaft über diesen Bereich um so unanfechtbarer.

Es wurde bald deutlich, daß der eigene und eigentliche Gegenstandsbereich jeder einzelnen Kunst genau das ist, was ausschließlich in dem Wesen ihres jeweiligen Mediums angelegt ist. Die Aufgabe der Selbstkritik war es folglich, aus den spezifischen Effekten einer Kunst all jenes herauszufiltern, was eventuell auch von dem Medium einer anderen Kunst – oder an das Medium einer anderen Kunst – entliehen werden könnte. So würden die einzelnen Künste „gereinigt“ und könnten in ihrer „Reinheit“ die Garantie für ihre Qualitätsmaßstäbe und ihre Eigenständigkeit finden. „Reinheit“ bedeutete Selbstdefinition, und das Unternehmen der Selbstkritik wurde in den Künsten zu einer rigorosen Selbstdefinition.

Gerade zu diesem Zeitpunkt, nach 1960, hat sich jedoch die Kunst zunehmend von dieser Idee der Reinheit verabschiedet. Zwar scheint Greenberg noch bei der Minimal Art eine Neigung zur Reduktion zu erkennen, die er als Extrem kennzeichnet, als einen Endpunkt:

Die Minimalisten haben offenbar endlich erkannt, daß das Extreme an sich nur das Extrem als Sebstzweck sein kann, und das heißt: das Extremste und nichts geringeres als das. (in Neuerdings die Skulptur, 1967. S.364)

Gut 10 Jahre später muss er jedoch feststellen, dass seine Definition keine Akzeptanz mehr besitzt. Der postmoderne Diskurs der Kunst stellt nun das zentrale Anliegen Greenbergs in Frage:

Um nun zur „Postmoderne“ zurückzukommen: Ein Freund und Kollege hatte im letzten Frühjahr an einem Symposium über „postmoderne“ Kunst teilgenommen. Ich fragte ihn, wie man dieses Wort dort definiert habe. Als Kunst, antwortete er, die nicht mehr selbstkritisch ist. Das versetzte mir einen Stich. Vor zwanzig Jahren hatte ich geschrieben, daß die Selbstkritik ein kennzeichnender Wesenszug der modernistischen Kunst ist. (Modern und postmodern (1980), S. 440)

Selbstkritik, Reinigung und Reduktion werden fortan als Eigenschaften der Moderne angesehen, der sich die Kunst wahlweise bedienen kann oder nicht.

(Alle Zitate nach Clement Greenberg, Die Essenz der Moderne, Ausgewählte Essays und Kritiken, Philo, Dresden, 1997)

  

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