Welche Aufmerksamkeit sollte Kunst erfahren?

Ich fick euch…, Hafen2 Offenbach

Die Tage kam ich auf einen Blogbeitrag, worin der Autor folgende Feststellung trifft:

Kunst verliert ihren eigentlichen Wert, wenn ihr Erfolg sich in der Frage erschöpft, ob sie wahrgenommen wird. (Manifest)

Der Kern dieser Aussage liegt sicherlich im Begriff „erschöpft“. Dem stimme ich zu. Es sollte auch andere Kriterien für den Erfolg geben, außer dem Grad der Wahrnehmung. Was hier wohl quantitativ gemeint ist.

Aber wie steht es um die Wahrnehmung der Kunst? Wie sollte sie aussehen?

Fest steht, es bedarf zu allererst einer gewissen Verbreitung, die Sichtbarkeit herstellt, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, dass Kunst geschätzt wird.

In früheren Zeiten wurde in Künsten, deren Herstellung und Absatz einen besonderen Aufwand bedeutete (also zuerst Musik, Literatur, Film, Theater), eine genaue Abschätzung vorgenommen, ob und unter welchen Umständen das Werk ein Publikum finden würde. Fiel die negativ aus, wurde das Werk erst gar nicht hergestellt. Trotzdem konnte es zu Misserfolgen kommen.

Heute sind wir in der Lage, dass die Herstellungskosten praktisch gegen Null gehen und jede/r sich über Blogs oder die Kanäle der sozialen Medien tendenziell an ein Millionenpublikum wenden kann. (Damit ist potentiell der Traum des Vernunftkalküls eingelöst. Was allen gilt, muss auch allen zugestellt werden können.)

Soweit die gute Nachricht.

Die schlechte Nachricht besteht darin, dass ein Millionenpublikum nur in der Theorie existiert und weit mehr als sonst einem Lottogewinn gleichkommt.

Top Tweet

Top Tweet

Die meisten Blogbeiträge, Youtube-Videos, Twitternachrichten oder Instagram-Bilder dürften kaum Verbreitung über den Bekanntenkreis des Autors hinaus finden. Und im Gegenzug gibt es wenige, die kaum nachvollziehbar, hunderttausende und mehr Menschen erreichen. (Womit gleichzeitig ein Vergleichsmaßstab gesetzt wird, der die eigene „Leistung“ defizitär erscheinen lässt. Mit den sozialen Medien wird endgültig ein System von „Stars“ und „Hits“ auf alle übetragen.)

Ist das nun schlecht?

Das kommt auf die Perspektive an. Stellen wir uns vor, Kafka hätte nur 3 Leser gehabt. Hätte das den Wert seiner Werke geschmälert? Bestimmt nicht.

Leider ist diese Sichtweise wenig hilfreich, denn sie blickt nur zurück in die Vergangenheit. Wir wissen heute, dass Kafka mehr als 3 Leser hatte, und vermutlich beeinflußt das auch unsere Einschätzung seiner Qualität.

Ich glaube, Menschen, die die quantitative Wahrnehmung der Kunst gering schätzen, neigen implizit zu dieser historisierenden Sichtweise. Sie imaginieren sich und den Künstler in einer fernen Zukunft von der aus sie einen Erfolg annehmen, der in der Gegenwart nicht möglich erschien. (Manche Künstler-Legenden scheinen ihnen Recht zu geben.)

Luhmann sagt dagegen folgendes:

Es gibt Kunstwerke nur, wenn und soweit mit Möglichkeiten der Kommunikation über sie gerechnet werden kann. (in Das Medium der Kunst, S.133)

Mit Luhmann ist daher schon im Prozess des Machens die Abwägung enthalten, ob das Kunstwerk und somit der Künstler mit Wahrnehmung rechnen kann. Dass Künstler sich demgegenüber paradox verhalten, – also, anders als ein Verlag, Kunstwerke ungeachtet möglicher Rezeption in die Welt setzen, mag daran liegen, dass sie schon vorweg die historisierende Perspektive einnehmen, die aber nur eine zeitliche Verschiebung der Rezeption imaginiert. Wer so tut, als interessiere ihn das Publikum nicht, der rechnet um so fester damit.

Mit diesem Verhalten setzen sich Künstler einem schleichenden Abnutzungsprozess mit unabsehbaren Folgen aus. Weiteres dazu findet sich in meinem Aufsatz über den Misserfolg.

Fazit

Ich bin jedenfalls müde und frustriert davon, mir mit meinen Arbeiten Mühe zu geben, um anschließend in der Öffentlichkeit, die weitgehend von den sozialen Medien bestimmt wird, 1 oder 2 Likes dafür zu bekommen. Dass noch nicht einmal meine „Freunde“, – ich sollte besser Kontakte sagen -, darauf reagieren, mag mit den Algorithmen nach denen Facebook & Co. die Sichtbarkeit steuern zu tun haben, oder einfach, weil es die „Freunde“ nicht interessiert oder sie gerade anderes beschäftigt.

Wie dem auch sei, mit Luhmann rechne ich kaum noch mit Kommunikation über meine Werke, was in Folge meine Neigung herabsetzt, neue Werke zu beginnen.

  

4 Gedanken zu „Welche Aufmerksamkeit sollte Kunst erfahren?

  1. Sabine

    Lieber Stefan,
    ich verstehe Dich und verstehe Dich nicht. Einerseits: klar, wenn man mit Sicherheit wüsste, dass niemand, keine einzige Person, je guckte oder läse, fiele Motivation sicher arg schwer. Andererseits gibt es diese Sicherheit glücklicherweise nicht!
    Dann kann ich noch meine eigene Erfahrung beisteuern, die sagt: wir befinden uns in einer ziemlich kleinen Nische, und das, womit wir uns beschäftigen, scheint insgesamt sehr Wenigen ausreichend interessant. Dazu kommt unsere relative Ausführlichkeit, ein behutsamer Umgang mit Sprache und der Wille, sich gut (im Sinne von ausreichend) zu erklären, damit anschließend Dialog möglich ist – aber Viele winken schon bei den ersten Sätzen ab, wenn die mehr als ein Komma haben. 😉
    Wenn es mir ein Anliegen ist und bleibt (also WENN!), mich mit den Dingen, die mich interessieren, weiter auseinanderzusetzen und das auch zu kommunizieren, dann DARF meine geringe Reichweite keine ausschlaggebende Rolle bei der eventuellen Entscheidung spielen, ob ich damit weitermache. Dann IST die eine Person, die sich ernsthaft auseinandersetzt, mir wertvoller als die Hundert, die sich flüchtig beschäftigen, weil ich gerade in der Zeitung bin und mich vergessen haben, wenn die nächste Ausgabe erscheint, in der ich nicht besprochen werde.
    Ich möchte Dein Thema nicht ignorieren und gebe zu: das ernährt mich nicht körperlich, und meine Miete zahlt es auch nicht. Aber die Alternative, es dann eben zu lassen, gibt es für mich nicht. Das wäre für mich so, als würde ich mir in einem Gespräch dauernd versagen, das auszusprechen, das mir gerade auf Seele und Zunge liegt; wie sinnvoll wäre das? Kunst ist Sprache. Angehört werden ist freiwillig; die Bereitschaft, das verstehen zu wollen, was ein anderer sagt, und das dann vielleicht auch noch zu beantworten, ist immer ein Geschenk.
    Liebe Grüße,
    Sabine

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    1. Stefan B. Adorno Beitragsautor

      Ich bitte um Geduld für eine ausführlichere Antwort. Aber beim spontanen Nachdenken fällt mir ein, dass genau zu den hier besprochenen Umständen Jonathan Franzen mehrmals über William Gaddis geschrieben hat. Als ein Beispiel für einen Schriftsteller, der nie den Zuspruch bekam, den er nach Meinung von Franzen verdient hätte.

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    1. Stefan B. Adorno Beitragsautor

      Ich denke, die Frage um die es hier geht lautet in ihrer allgemeinen Form: Was ist einem was wert?

      Da gibt es verschiedene Pole, nach denen man so einen Wert bestimmen könnte.

      a) Nehmen wir an, wir hätten eine alte Uhr oder ein altes Tier, welche(s) wir zum Uhrmacher oder Tierarzt brächten und dann hörten: Das lohne sich nicht mehr. Worauf wir entschieden, die Kosten doch aufzubringen.

      Das ist dann unsere rein subjektive Entscheidung. Andere mögen sich darüber wundern, aber wir würden ihnen wahrscheinlich kein Recht zugestehen über uns zu urteilen.

      b) auf der anderen, eher objektiven Seite, liegen dann Bereiche, in denen die Gesellschaft eine Entscheidung über den Wert fällt. Ein Beispiel dafür ist der Mindestlohn. Da sagt die Gesellschaft, es gibt einfach einen bestimmten Wert für eine Leistung und den legen wir verbindlich fest.

      Ich meine, der Bereich der künstlerischen oder kulturellen Arbeit und ihrer Anerkennung liegt irgendwo zwischen a) und b).

      Wie Du, Sabine, Deine Einstellung beschreibst, scheint es mir als läge sie eher bei a), also einer nahezu subjektiven Entscheidung.

      Mein Artikel, den ich eher als eine Bestandsaufnahme verstanden wissen wollte, macht ja einige implizite Annahmen über die Eigenschaften des Feldes, in dem ich mich bewege. Vielleicht lässt sich das nochmal so darstellen:

      1) Ich gehe davon aus, dass diese kulturelle Praxis von der ich ausgehe, ein Vollzeitjob ist. Idealerweise.

      1b) Es gibt keine Zugangsbeschränkung. Jede/r kann da mitmachen.

      2) Im Feld der kulturellen Praxis herrscht eine starke Koste-es-was-es-wolle Mentalität vor. Also die Neigung und nahezu Verpflichtung keine explizite Kosten-Nutzen Rechnung vorzunehmen oder sie wenigstens als unbedeutend hinzunehmen.

      3) Dass sich etwas im herkömmlichen Sinne „nicht rechnet“, ist in der kulturellen Praxis kein Grund damit so schnell als möglich aufzuhören.

      4) Soziale Medien verstärken 2) und 3), weil sie die Vorstellung nähren, es sei jeder jederzeit für alles erreichbar. Wenn der Effekt nicht sofort eintritt, verlangen die sozialen Medien nach mehr Engagement.

      Damit, meine ich, ist eine Aktion in diesem Feld keine rein private Angelegenheit mehr. Dann ist das eine Handlung, die ökonomische Auswirkungen über einen selbst hinaus hat. Und im Feld der Kultur bedeutet das Armut und prekäre Verhältnisse. Ich möchte davon weg kommen. Und Du?

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