Wie leben in Ottensen?

Westend Ottenesen -- wohnanlage-1130602

Auch das ist (schon) Ottensen

Nicht erst durch die Kontroverse um die geplante Bebauung des Zeise-Parkplatzes ist deutlich geworden, dass sich Ottensen in einem rapiden Wandel befindet. Seit Jahren steigen die Mieten. Hochpreisige Eigentumswohnungen breiten sich aus. Alteingesessene Geschäfte verschwinden. Der Stadtteil droht an seinem eigenen Erfolg zu scheitern.

Wie lässt sich mit dieser Entwicklung konstruktiv umgehen?

In der Rückschau auf meine Studentenzeit, Mitte der 1980er Jahre, behalte ich Ottensen in trister Erinnerung. Gleich am Ausgang des Bahnhofs das alte Stadtbad von marodem Charme, der schmierige Hertie, vor dem die Punks bettelten. Die Ottenser Hauptstraße von Dönerstuben und Matratzenabverkaufsläden geprägt. Ein Bild der grauen Vorstadt, wenig lebenswert.

Doch es gab schon die Fabrik, die Motte, den Werkhof. Auch Bioläden. Und in den Fabriketagen der Hinterhöfe viele Künstler. Vorposten des kreativen Wandels.

Der kreative Wandel

Wie anders, überraschend dann mein Eindruck von Ottensen, als mich, fast 20 Jahre später, an einem nebligen Novembervorabend 2008 mein Freund Michael Kress vom Bahnhof Altona zum Künstlerhaus Frise führte. Die Fußgängerzone von hellerleuchteten Schaufenstern gesäumt, gut gekleidete Menschen unterwegs, in der Ottenser Hauptstraße spezialisierte Geschäfte für Mode, Möbel und Design, eine bunte Mischung einladender Lokale. Ich wollte immer nur stehen bleiben und staunen. Es gab alles, was ich, im Frankfurter Westend lebend, schmerzlich vermisste.

Eintrag im Tagebuch 2011:

Ottensen erinnert mich daran, was in meinem Leben falsch läuft.

In der Tat, der Wandel, den Ottensen in den 1990er und 2000er Jahren genommen hatte, verlief nahezu kongruent mit den Forderungen des Stadtsoziologen Richard Florida nach einem lebenswerten, kreativen Quartier. Variety, diversity, street-level access waren seine Mantren, die sich in Ottensen perfekt exemplifiziert wiederfanden. Sicherlich, mit dem Mercado waren auch Kette und Konsum eingezogen, doch nach wie vor dominierten kleine Läden, eine Vielzahl von Kneipen und Cafés, gastronomische und kulturelle Angebote jeglicher Couleur. Alles fußläufig zu erreichen.

Kein Wunder, dass Ottensen innert kurzer Zeit zu einem der begehrtesten Stadtteile Hamburgs aufstieg. Dem urbanen Hipster, als Single oder in Familienform, bot sich auf diesem Flecken das ideale Habitat.

Der Preis des Begehrens

Seit kurzem wohne ich, meiner Sehnsucht folgend, auch in Ottensen und zahle für einen moderaten Altbau eine Kaltmiete, die die meines Freundes Kress, der etwas außerhalb in einem Neubau lebt, locker um die Hälfte übersteigt.

Denn das ist der Preis des Begehrens. Was viele wollen, wird rar und schließlich teuer. Anders als Gummischläuche läßt sich Wohnraum nicht beliebig vermehren. Dass die Mieten steigen, ist beinahe schon ein Naturgesetz.

Ottensen befindet sich seit Jahren in einem stetigen Aufwertungsprozess, von dem schwer abzusehen ist, wo er enden wird, und wer seine Gewinner und wer seine Verlierer sein werden. Sicher ist, die Logik dieser Veränderung bringt es mit sich, dass diejenigen, die mehr Geld aufbringen können, wenigstens kurzfristig im Vorteil sind. Sie können sich Mieten oder Eigentum leisten, die genau deswegen so teuer sind, weil sie die Sorte Menschen sind, die sich das leisten können.

Die Entwicklung läuft damit Gefahr einen paradoxen Verlauf zu nehmen. Menschen mit Geld ziehen in einen bunten, vielfältigen, kreativen Stadtteil, weil sie die vielen kleinen Läden und das einzigartige Angebot schätzen. Und genau mit diesem Verhalten sorgen sie dafür, dass die vielen kleinen Läden nicht mehr in der gleichen Weise wie zuvor existieren können, weil ihnen die Eigentümer in Erwartung zahlungskräftiger Kundschaft die Miete erhöhen.

Ob Ottensen schon in nächster Zeit ein Erscheinungsbild erreichen wird, wie es vom Frankfurter Westend oder vom Hamburger Rotherbaum (oder den Elbvororten) bekannt ist, Gegenden, die nur noch Sekundärkonsum (Blumen, Schmuck, Delikatessen etc) aushalten, hängt von den Möglichkeiten ab, diesen Entwicklungen entgegen zu treten.

Was kann ich tun?

Was kann ich in meinem individuellen Verhalten tun, um ein vielfältiges Ottensen für alle Menschen unabhängig von ihrem Einkommen zu erhalten?

Es gibt einige Unternehmungen, die gemeinschaftlichen Engagement befördern und voraussetzen. Urban Gardening, Transition Town Initiativen, Tausch- und Leihkooperativen, genossenschaftliches Wohnen und Arbeiten und vieles mehr. Sie sind nützlich und notwendig, einer zunehmenden Segregation in Arm und Reich, Einheimische und Fremde entgegen zu wirken. (Wenngleich ich befürchte, dass alles, was den Stadtteil interessant macht, auch unfreiwillig dazu beiträgt, ihn letztlich aufzuwerten.)

Mich interessiert besonders, welche Optionen ich unter dem bestehenden Status Quo habe, der davon geprägt ist, dass es von vielen Angeboten nur noch eines oder wenige gibt.

Der Buchhandel

In Ottensen existiert gerade noch eine inhabergeführte Buchhandlung (und noch eine auf der Großen Bergstraße). Muß ich da jetzt einkaufen? Das wäre schön.

Was aber, wenn mir der Laden aus irgendeinem Grund nicht gefällt? Bin ich aus Erwägungen einer Art Arterhaltung verpflichtet, dieses Geschäft zu unterstützen? Ausgedehnt auf andere Läden (Gemüse zB), denen es ähnlich ergeht, liefe das letztlich auf ein Reservat hinaus, das ihren Unternehmern einen Bestandsschutz garantierte.

Der letzte Buchladen, der letzte Bäcker, der letzte Gemüsehändler, das letzte Kino, – die müssen doch geschützt werden, nicht wahr? Tatsächlich. Nur wie?

Auch hier eine paradoxe Situation. So sehr ich mir solche kleinen, persönlichen Betriebe wünsche, ich mag sie nicht um jeden Preis erhalten wollen. Sie sollen sich auch anstrengen dürfen, mich als Kunden zu erhalten.

In manchen Fällen kann man zur Selbsthilfe schreiten, also einen eigenen Buchladen gründen. Dem Ergebnis der Selbst-Musealisierung entginge man dadurch nicht. Dass es in Ottensen gefühltermaßen schon zuviele Modeläden gibt (ich denke da mit Wehmut an das Pfeffermühlengeschäft in der Ottenser Hauptstraße, das einem solchen weichen musste), entspricht eben den Bedürfnissen der Bewohner. Sie produzieren auch die entsprechende Nachfrage, denen dann das Angebot folgt. Insofern ist auch die Aussicht mit einem eigenen Buchladen Bestand zu behalten skeptisch zu sehen.

Ehrlich, ich bin ein wenig ratlos. Was kann ich alleine, was kann ich mit anderen unternehmen, ohne ein Reservat zu befördern?

Welche Idee kommt Dir dabei?

  

3 Gedanken zu „Wie leben in Ottensen?

  1. Steffen

    Sogenannte Kreative, also Werber, Texter, Designer usw. haben Ottensen zu dem gemacht was es ist: ein Hipsterquartier. Was kann dagegen getan werden? Nichts. Was wäre zu tun? Mir fiele da einiges ein. Allerdings wäre dies mit Recht und Gesetzen des BRD-Staats nicht vereinbar.

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  2. Mia Zackenbräu

    Ottensen ist ein ekelerregender Konsumstrich für die fast Schwangeren. Überall lungern diese kleinen Stinker der verwahrlosten Halbgebildeten aus dem akademischen Keller rum. „Und wenn es mit dem Projekt nichts wird, bleibt mir ja noch das Häuschen meiner Eltern.“ (So tönt es bei aufgewärmten Sauerbraten in Maggitunke bei Hatari von allen Tischen). Besonders schlimm ist in den vergangenen 10 Jahren das Public Fressen und Kornern geworden. Dabei existieren kaum zwei Restaurants, die den Namen zurecht tragen: FuH, Brasserie La Provence. Das Sternerestaurant am Spritzenplatz ist ein Quatsch vorm Allah. Und der Rest ist eh vollkommener [ – gelöscht – ]: Goldene Gans, Kleine Brunnenstraße? Einfach nur zum Heulen. Aber schön, dass der multivölkische Orgasmus in Ottensen zum Durchbruch kommt, und zwar als Pseudosinnlichkeit. Es existiert kein Quartier dieser Art auf dieser Welt, das auch nur annähernd an diese dumpfe Ausstrahlung unerotischer Schwachköpfe heranreicht.

    Irgendwann gibt es halt eine rein. Ständig diese affigen Jogger, Fahrradfahrer auf den Gehwegen und verblödete Eltern mit ihren verschissenen Konderwagen auf dem Weg zur Nobelpreisverleihung. Dabei vergeht kein Tag, an dem nicht eine hirnlose Planschkuh einem in die Hacksen kurvt oder blöde ihren waldörflichen Bioplärr abbläst. Manches Mal wünsche ich mir die Aliierten, dass die mal wieder etwas Ordnung und Sinn schaffen. Aber bei denen sieht es inzwischen auch nicht mehr gut aus.

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  3. Stefan B. Adorno Beitragsautor

    Liebe Mia,

    vielen Dank für diese herzliche Polemik! (Ich hab mir mal erlaubt ein Wort zur Goldenen Gans zu streichen, weil es mir über die reine Meinungsäußerung hinweg zu gehen scheint.)

    Ich könnte Dir sogar zustimmen. Doch, was hilft es? Man muss nicht in Ottensen wohnen. Aber was wäre die Alternative? Eben komme ich aus dem Osten, wo ich Horner Rennbahn und Billstedt sah. Da könnte man im Vergleich zu Ottensen sagen: Da ist die Welt noch in Ordnung. Trotzdem, wohnen wollte ich da nicht.

    Was ich mit meinem Artikel erörtern wollte, war, dass Ottensen eine Art übergekochte Utopie ist. Ehemals gut gemeint, doch ab einem bestimmten Zeitpunkt übers ‚Ziel‘ hinausgeschossen. Man wünschte sich vielleicht, die Zeit zurückdrehen zu können. Doch das geht nicht. Und was sollte man jetzt tun, außer wegzuziehen?

    Herzlich
    Stefan

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