Mythen der Kunst

Echo und Narziss

Echo und Narziss, John William Waterhouse

Jedes Gespräch über Kunst weist mit Sicherheit einige Gemeinplätze auf, die ich Mythen nennen will. Ob hinterfragt oder nicht, erzählen sie Geschichten vom Zustand der modernen Kunst, die uns ein Bild vom dem vermitteln, was in der Kunst möglich ist oder nicht.

Ich möchte hier kurz die vier wichtigsten Mythen der Kunst darstellen.

Autonomie

Die Kunst ist frei. Sie ist nur sich selbst verpflichtet. Alle Anforderungen von Außen werden abgelehnt. Von Auftraggebern, wohlmeinenden Förderern, Mäzenen, Stiftungen, Institutionen. Vom Geld, vom Markt. Der Gesellschaft.

Kunst ist keinen äußeren Einflüssen unterworfen. Sie gibt sich ihre Gesetze und Verfassung selbst.

Kunst ist ein emanzipiertes, eigenständiges, ausdifferenziertes Subsystem der Gesellschaft (Luhmann).

Kunst ist nutzlos und zweckfrei. Sie genügt sich selbst.

Der ästhetische Gehalt eines Kunstwerkes ist daher weitgehend aus seiner formalen und materiellen Verfasstheit ableitbar. (Das Kunstsystem präferiert folglich physisch und formal abgeschlossene Werke.)

(In der Autonomie liegt auch der Ursprung des Künstlergenius. Kunst als innere Aufgabe, Berufung, Sendung. Dazu im Weiteren Reckwitz -> Kreativität, Kreativitätsdispositiv)

Künstlerethos

Der Künstler, die Künstlerin, lebt und arbeitet um der Kunst willen.

Für die Kunst nimmt er/sie alle möglichen Nachteile in Kauf. Insbesondere materielle. Arm zu sein, ist keine Schande. Manchmal sogar eine Auszeichnung.

Persönliche Befriedigung aus der künstlerischen Tätigkeit wiegt alles andere auf. Ihre Freiheit (Autonomie) ist den KünstlerInnen sehr wichtig und verteidigenswert.

Aus der Kunst auszuscheiden, gilt als unschicklich.

Status Kunst

Kunst ist offen, unbestimmt, unabgeschlossen. Man kann nicht endgültig sagen, ‚was Kunst ist‘.

Eine Definition von Kunst ist nicht möglich, oder sogar nicht erlaubt. Es gibt kein ‚Wahr‘ oder ‚Falsch‘.

Kunst ist unvergleichlich. (Jedes einzelne Kunstwerk quasi ein ‚Sonderfall‘.)

Kunst ein Spiel, das keine andere Regel kennt, als keine Regel zu kennen. (Das führt in einen Regress, der die Kunst beständig unbeständig macht.)

Kunst und Markt

Kunst steht den üblichen Formen des bürgerlichen Wirtschaftens skeptisch bis ablehnend gegenüber. (siehe Max Weber -> Charisma) Besonders dem Geld. Geld und Markt korrumpieren die Kunst. Kunst darf keine Ware werden. (Oder nur in Ausnahmefällen.) ‚Unkommerziell‘ zu sein, ist nicht nur Forderung, sondern Grundbedingung und Auszeichnung echter Kunst.

Künstler sollen nicht von der Kunst, sondern für die Kunst leben. (Runge)

In Folge hat sich Kunst von jeglicher Form des Misserfolgs immunisiert.



Die Anti-Kunst

Axiomatisch betrachtet könnte für jeden einzelnen Mythos auch sein Gegenteil gelten. Das würde im Ganzen zu einer Kunst führen, die wir nicht kennen, in Teilen überwunden glauben und sogar ablehnen.

Die wichtigsten Positionen in Tabellenform:

Kunst Anti-Kunst
Kunst ist Autonom. Nutzlos und zweckfrei. Kunst ist Post-Autonom. Sie sucht und implementiert außer ihr liegende Zwecke.
Künstler ist kein normaler Beruf. Sondern Berufung. Künstler ist ein normaler Beruf.
Kunst kennt keine Definition. Es ist genau festgelegt, was Kunst ist, und was nicht.
Kunst ist wirtschaftsfremd. Kunst ist Wirtschaft, Markt und Geld freundlich gesonnen.

Wäre eine solche Anti-Kunst denkbar und wünschenswert? Ich finde Ja.

Was denkst Du?

  

5 Gedanken zu „Mythen der Kunst

  1. Sabine Pint

    Wenn Kunst GRUNDSÄTZLICH käuflich wird, wie kann man ihren Nutzen vor der (möglichen und sogar wahrscheinlichen) Korruption schützen?
    Was genau ist das Wünschenswerte an dieser Kunst-Form, abgesehen vom Vorteil für Einzelne, die das dann selbstverständlich wünschen, solange sie partizipieren?
    Was wäre der Gewinn für ALLE Menschen?
    Und bitte…: keine Mythen jetzt! 😉
    Mit Grüßen und Wünschen zur Guten Nacht,
    Sabine

    Antworten
      1. Sabine Pint

        Guten Morgen,
        vielleicht war „Korruption“ das falsche Wort… kommt mir jetzt wenigstens nach der Aufzählung Deiner Beispiel-Berufe so vor. In keinem Bereich sollten Vereinbarungen durch Geld – oder besser: MEHR Geld – ausgehebelt werden können.
        Es sind Berufe ersonnen worden mit einem anderen Bezahlsystem, um die Gefahr einer „Käuflichkeit über den vereinbarten Lohn hinaus“ gering zu halten; mir fallen Beamte ein. Bei aller Schimpfe auf den Berufsstand, finde ich die Idee gut – unabhängig ob sie auch funktioniert -, dass bei Lehrern oder Polizisten die Bestechungsgefahr klein gehalten werden sollte durch besondere Konditionen.
        Journalisten sollten unbestechlich sein und sind es nicht mehr alle, können es nicht mehr sein durch die Möglichkeit ihrer Arbeitgeber, sie aufgrund der Existenzangst erpressen zu können.
        Bei bestimmten Berufen ist Freiheit im Arbeiten unerlässlich, und bei diesen Berufen sehe ich da zumindest eine Gefahr – und würde sie auch bei der Kunst sehen.
        In erster Linie funktioniert eine allgemeine Bezahlung bei der Kunst für mich nicht durch die Unvergleichlichkeit, die Du da ja nicht siehst, während sie für mich so groß ist wie ein Scheunentor, vor dem ich stehe… da geht unsere Philosophie auseinander. Ich gehe nicht mit Adorno konform, dass die Gedanken des Künstlers eine untergeordnete Rolle spielen, und darauf fußen dann meine weiteren Ansichten.
        Die Bezahlung einer Arbeit ist o.k., Verträge zur Bezahlung auch. Für eine allgemeine Bezahlung aller „kreativer Gesellschaftsarbeiter“ ist mir aber noch kein Modell bekannt, das zu meiner Kunst-Philosophie passt.
        Viele Grüße,
        Sabine

        Antworten
          1. Stefan B. Adorno Beitragsautor

            Das ist eine gute Frage. Ihre vollumfängliche Beantwortung würde eine programmatische Ausarbeitung verlangen. Das vermag ich momentan nicht zu leisten. Zu einzelnen Punkten gibt es ja schon Ansätze. Siehe Lingner und die Postautonomie.

            Ich wollte nur mal zusammenstellen, auf was ich keine Lust mehr habe. In der Hoffnung, dass es vielleicht anderen ähnlich geht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert