Was macht Kunst im Kleingarten?

Skulptur im Kleingarten

Skulptur im Kleingarten

Überlegungen zum Form/Hintergrund Problem in der Darstellung und Erfahrung von Kunst. Wie lässt sich Kunst außerhalb der weißen Wand erfahren? Anhand einer Ausstellung in einer Kleingartenanlage in Hamburg-Altona.

Vor einigen Jahre hörte ich einen Vortrag von Peter Halley, auf dem er folgendes Problem schilderte.

Zu einer Ausstellung in Rom kam ihm die Idee, den Galerieraum mit einer Tapete auszukleiden, die Formen seiner Bilder replizierte. Sie sollte den Bildern als Hintergrund dienen und ihre Anlage über den Bildrahmen hinaus verlängern.

Darauf erklärte der Galerist, die Kunden könnten nicht entscheiden, was das eigentliche Bild wäre und was sie kaufen sollten. In der Folge nahm Halley die Tapete wieder ab.

Die kleine Anekdote illustriert die Abhängigkeit moderner Kunst von einem klar definierten und abgrenzbaren Hintergrund, der deutlich macht, wo genau das Kunstwerk endet.

Duchamps Flaschentrockner oder Pissoir konnten nur dadurch zum Ereignis werden, in dem sie von ihrer natürlich Umgebung isoliert und herausgestellt wurden. Im Kaufhaus oder Baumarkt hätte sie niemand beachtet.

Kontext Kunst

Dieses Prinzip ist heute so allgemein und allgegenwärtig geworden, daß Kunst nur noch da sichbar werden kann, wo der Kontext explizit als „Kunst“ ausgewiesen wird.

Achtung, hier ist Kunst

Achtung, hier ist Kunst

Nicht anders ging es bei einer kürzlich zurückliegenden Ausstellung in einem Hamburger Kleingartengebiet zu. Einzelne Parzellen waren mit orangen Schildern versehen, die darauf hinwiesen, wo Kunst zu sehen sein sollte.

Meine Lust an der Betrachtung erwuchs aus zweierlei Quellen die Präsentation gegen den Strich zu lesen.

Einerseits ist der Kleingarten schon eine Form der profanen Gestaltung, die den Abstand zur Kunst, die sie ansonsten zur weißen Wand hätte, auf angenehme und anregende Weise verringert. Hier wirkt das Prinzip der Kontrastreduzierung, das Peter Halley seinem Galeristen zuliebe aufgab, als Stimulans, die vorbestimmten Grenzen der Kunstwerke in die Umgebung aufzulösen.

Anderseits erlaubt die gestaltungsüberladene Umgebung des Kleingartens, die sich dennoch einer Klassifizierung entzieht (sollte man das Volkskunst nennen?), Dinge als Kunst wahrzunehmen, die ursprünglich nicht als Kunst intendiert waren. Da waren manche Gartenmöbel, Blumenbeete, Zierteiche genauso interessant, wie die Objekte, die von außen zwecks der Ausstellung hineingebracht worden waren. Ich war mehr Produzent als Rezipient, der sich daran erfreuen konnte, beliebiges (Kunst oder Nichtkunst) zu entdecken und mit eigener Bedeutung aufzuladen.

Ist ein Schrebergarten nicht schon Kunst genug?

Nun meinte ein Kollege gegen diese Melange einwenden zu können, ich hätte den Schrebergarten ohnehin schon für sich als Kunst wahrnehmen können. Es hätte doch der von außen eingebrachten Kunst nicht bedurft.

Den Schrebergarten an sich als Kunst aufzufassen bedeutete allerdings ihn (ähnlich dem Flaschentrockner in der Galerie) in einem erweiterten Kontext, vor einer imaginären weißen Wand zu sehen, die die ästhetische Erfahrung in einen musealen Kontext restauriert hätte.

Hingegen ermöglichten erst die mit „Kunst“ gekennzeichneten Artefakte Kodensationspunkte zu bilden, von denen aus die Wahrnehmung produktiv eigene ästhetische Affizierungen vornehmen konnte. Kunsterfahrung entsteht so nachträglich einem Verweisereignis.

Theoretisch wäre das auch im Museum möglich, wenn ich mir anhand eine Dollarnote von Andy Warhol Gedanken über das Geld machte. Daß das im Kunst-Schrebergarten besser gelingt, liegt weniger an seiner ungewohnten Umgebung, als in dem durch Kunst induzierten Kippeffekt der Betrachtungseinstellung.

Um die gleiche Wirkung im Museum zu erzielen, müßte ich das Museum für sich als Kunst wahrnehmen. Und was wäre dann seine „weiße Wand“?

  

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